Sounds
May 1979
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Seite 28
Blondie & Dirty Harry
Tony Parsons
Debbie Harry IST Blondie, meint unser Autor… Debbie Blondie – ein Gesicht, ein Körper, ein Name, ein Markenartikel, ein Star, endlich ein Pin-Up des Rock’n’Roll, das nicht männlich ist! Aus einer teuren Abschlußschule für höhere Töchter wurde sie rausgeschmissen, weil sie ständig mit ‘nem Homo zusammen war. Ein Auto mit eingeschaltetem Radio war eigentlich immer schon ihr liebster Aufenthaltsort, allein. 1971 ging’s mit den Stilettoes, die kurze Zeit später die Frühgeburt von Blondie wurden, endlich auch musikalisch los. Was folgte? Nun, ein Flop mit der ersten LP – obwohl es das einzige Album war, bei dem jedes Stück ein Hit hätte sein können und sollen – dann Plastik-Briefe (oder sollten es French Lettes sein?) Schließlich ging Chris “Greasy Man” Stein mit parallelen Linien und Debbie-Fotos hausieren. Brachte das vielleicht die Nachfrage nach den gläsernen Herzen?
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BLONDIE
& DIRTY HARRY
Was willst du vom Leben? Ruhm, Glück, Kokain? Blondes Haar, goldbraune Hant, strahlend weiße Zähne und ein Plätzchen dort draußen in der warmen kalifornischen Sonne, wo man sich vergnügt, wo es zwei Mädchen für jeden Jungen gibt und wo die endlose Surferwelle bis in alle Ewigkeit ausrollt? Wirst du dich mit einem Autogrammfoto von Debbie Harry begnügen, mit dem du dich in der Abgeschiedenheit deines verschlossenen Badezimmers verlustieren kannst (während Mammi und Pappi unten Fernsehen gucken und nicht das leiseste ahnen…)??? **** Von Tony Parsons
Blondie sind zwar eine Gruppe, aber macht kleinen Fehler, Debbie Harry IST Blondie; Debbie Blondie – ein Gesicht, ein Körper, ein Name, ein Markenartikel, ein Star. Ein völlig wirklichkeitsfernes Produkt von Titelseitenschönheit, hochglänzend mit der Garantie/dem Versprechen/der Illusion von der Traumwelt, nach der du gerade gierst, und alles, was du tun mußt, ist, den Eintrittspreis zu löhnen (Poster, Anstecknadeln, Schallplatten, Konzertkarten und – sehr bald – ein Film liegen im Foyer zum Verkauf aus).
Mehr Ware. Vergiß Farrah Fawcett-Majors und erzähl Marilyn Monroe die Neuigkeit – Debbie ist DAS Gesicht der Siebziger. Endlich hat der Rock and Roll mal ein Pin-Up, das nicht männlich ist! Hey, ich fing schon an, mich zu fragen, was mit euch Jungs los ist.
Unsere wundervolle Jugendkultur, so wild, so rebellisch, so jung und lebendig, ist die alte Geschichte von Herstellung/Absatz/Konsum, der deuchte Traum eines jeden Unternehmers; alte Heiligenbilder für neu verkauft, und das Jahr um Jahr. Unsere eigene, private Welt!
Frühling 1979, und Königin Debbie schaut herunter von Platz eins aller Hitparaden, Herrin all derer, auf die sie herabschaut, und sich vollständig darüber im klaren, daß Rock-Musik nur zu einem Teil aus Musik und zu neun Teilen aus Image besteht. Gott schütze sie!
“Es kann sein, daß ich jetzt nicht sehr gut aussehe”, gibt sie zu, wenn sie nicht auf der Bühne steht, “aber ein bißchen Make-Up… meine Hauptbeschäftigung ist es, um die Augen herum Tonnen von Make-Up zu tragen, damit ich mysteriös aussehe. Meine Haut ist nicht sooo schlecht. Nicht, daß ich etwa dicke Löcher in meinem Gesicht überdecken müßte oder sowas… Ich seh’ einfach durchschnittlich aus, weißt du? Ich seh’ nicht schrecklich aus, glaube ich wenigstens nicht. Einfach durchschnittlich. Ich werde erst aufregend, wenn ich mein Make-Up auflege…”
Hat eine Karriere hinter des Maske magischer Schönheit nicht ihren Preis, Debbie? “Das ist merkwürdig, wenn ich unterwegs bin, sind die Punks und die Kids meist in Ordnung, es sind eher die Ladenschwengel und solche Typen, weißt du, die haben eine andere Einstellung mir gegenüber, die rufen mir häufig obszöne Dinge nach. Jetzt, da ich erfolgreich bin, noch mehr als vorher.”
Vorher… wen ein Star “vorher” zu dir sagt, Freund, dann meint er “all diese Jahre der Anonymität, bevor ich berühmt wurde, all diese beschissenen, fruchtlosen, verschwendeten, freudlosen Jahre, in denen ich nur eine Figur in der grauen Masse des Lumpenproletariats war, sind vorbei – für immer!”
Vorher, das hieß für Debbie Harry, in New Jersey geboren und aufgewachsen zu sein, wo sie, so will es die Legende, Cheerleader war, bevor sie zu einer teuren Abschlußschule für höhere Töchter ging, wo sie, so erzählt’s Debbie, rausgeschmissen wurde, da sie ständig mit einem Homo (männlich) zusammen war.
“Als ich jünger war”, erinnert sich Debbie, “hörte ich dauernd Autoradio. Tatsächlich war das mein einziger Trost während meiner High-School-Zeit. Weißt du, ich war immer gern alleine, und mein liebster Aufenthaltsort war ein Auto mit eingeschaltetem Radio.”
Die Aufblaspuppe scheint zu lächeln, als ob sie ständig “Cheese” sagte. Zum Teufel mit der Würde. Dreieinhalb Jahrzehnte im amerikanischen Geldsumpf (Deborah ist 35) sind dazu geeignet, die Selbstachtung eines jeden Starlets auszurotten. Aber naja, – oh, – naja, sie fühlt sich ja so gut heutzutage…
Aber warum hat es bei ihr so lange gedauert? Warum ist sie nicht jung?
Antwort: Heroin.
“Der einzige Grund, warum ich alles wesentlich später als die meisten Leute mache, ist einfach der, daß ich lange Jahre völlig abgefuckt von Heroin war… Ich wußte, daß das das Ding war, das ich machen wollte, aber ich war restlos abgefuckt, völlig am Arsch, zu sehr geistiges und körperliches Wrack, um auch nur irgendwas hinzukriegen.”
Debbie, gab es jemals Momente, in denen du dachtest, deine Träume vom Startum würden niemals wahr werden?
Sie seufzt, “Viele.”
Mitte der sechziger Jahre entfloh sie ihrem kuscheligen New-Jersey-Silber-Löffel-College-Hintergrund; der Ex-Cheerleader (zu dieser Zeit eine kurzhaarige Brünette) nahm Kurs auf die Verheißungen der glitzernden, leuchtenden Großstadt New York. Anfangs verbrachte sie ihre Nächte mit den Avant-garde-Jazzmusikern am St. Mark’s Place und später, im “Sommer der Liebe” von ’67, schluckte sie LSD und klingelte mit Fingerzimbeln in einer Gruppe ranziger Hippies (war’n sie das nicht alle), die sich The Wind In The Willows nannten.
Dämon H
Nachdem die sich aufgelöst hatten, bediente Debbie in Max’s Kansas City, dem Sauftreff/Drogenumschlagplatz des Andy-Warhol-Freak-Circus des Rock-Business/der Kunstclique/der Drogen-benutzer, -mißbraucher und -händler.
Höhepunkt des Jobs war, sagt Debbie, stehend in der Telefonkabine im ersten Stock gefickt zu werden (die Kabine war zu klein für eine andere Position, trotz Debbies Beinen, die eine ziemlich starke Ähnlichkeit mit zwei Pianobeinen haben, die zu Hause eine Höhensonne benutzen.)
Angeödet von der Tätigkeit als Serviererin und sauer darüber, daß ihr magerer Lohn von ihren Heroinrechnungen aufgefressen wurde, verließ sie die straßen New York Citys, um das Spielzeug eines reichen, alten Millionärs in Bel Air, Hollywood, Kalifornien zu werden. Nach vier Wochen in Tinsel Town sehnte Debbie sich nach dem, was sie an New York am meisten liebte, und hatte das dringende Bedürfnis, sich so schnell wie möglich etwas davon in die Armvene zu spritzen. Die Kreise, in denen sich ihr verkalkter, tatteriger Geld-Pappi bewegte – das gelobte Land Kalifornien! Teenager-Himmel! Geknutsche im Drive-In! Beschleunigungsrennen mit aufgemotzten Autos auf Hollywoods Straßen! Sonnenschein und Wellenreiter! Vorstellungen für Filmrollen! – waren eine trockene Angelegenheit, zumindest was den Dämon H anbelangte.
Irgendwo über dem Regenbogen… da gab’s die Droge, von der sie beim Einschlafen träumte. Debbie hatte Heimweh, sie war krank nach Drogen, sie hatte Großvaters schrumpeligen, schlaffen Liebesmuskel satt, der jedesmal vor Anstrengung schwitzte und so hart wie geschmolzene Margarine wurde, wenn Opi die Absicht hatte, mit ihm etwas anderes zu tun als seinen allabendlichen Kakao umzurühren. Nun sei still, ich kauf’ dir ja, was du willst, sagt Opa… aber das war nicht gut genug für Debbie. Also kehrte sie zurück ins New Yorker Babylon, wo sie schnell wieder in der Heroin-Unterwelt aufging. Der Kampf ums Geld für die Spritze, das Wartem auf den Mann, irgendeinen Mann, in kalten Schweiß gebadet verzweifelt auf die Lieferung warten, schmutzige Nadeln und ein Ansteigen des Bedarfs in dem Maße, wie der Arm des Süchtigen immer mehr einem Nadelkissen ähnelt, der ständig größere Geldbedarf für immer höhere Dosen, nur um die gleiche Wirkung wie vorher zu erzielen, die Angst vor der Luftblase in der Pumpe, die nicht mit sich reden läßt, die dich einfach nur tötet, das Verrotten des Geistes, das Verrotten des Körpers, das Verrotten all dessen, was du besitzt, das Leben an der Nadel, im Grunde überhaupt kein Leben.
Debbie war nicht Eric Clapton, Ronnie Wood oder Keith Richard, sie konnte ihre Heroin-Rechnungen nicht mit Tantiemenschecks bezahlen, also bezahlte sie für ihre Sucht mit dem üblichen Abendjob einer Fixerin: mit Prostitution.
Sie erzählte mir, daß es sie am meisten bedrückt, ihren Eltern Kummer bereiten zu haben. “Als ich bei den ersten Interviews auf meine Fixerei und Prostitution angesprochen wurde und man darüber zu reden anfing – schließlich ist das ja die Wahrheit, richtig? – und als meine Eltern das alles gedruckt sahen, da hat sie das wirklich tief bestürzt, und das hasse ich mehr als alles andere. Aber es war halt die Wahrheit…”
Sie gab die Prostitution auf, nachdem sie mit dem regelmäßigen Spritzen aufgehört hatte. “Ich war die meiste Zeit stoned und brauchte das Geld”, gesteht sie in ihrem Hotel in Kensington, während sie Erbsensuppe und grünen Salat verspeist. “Als ich mit dem Spritzen aufhörte, brauchte ich auch das Geld nicht mehr…”
Sie erlitt die üblichen quälenden Entziehungserscheinungen mit Zwangsjacke und cold turkey in einer Künstlerkommune in Woodstock, und Anfang der siebziger Jahre hing sie im “Mercer Arts Centre” rum, wo die New York Dolls die Hausband waren. “Ich war ein Groupie”, gibt sie zu, “ich liebte die Dolls, kannte sie alle sehr gut, und fing an, darüber nachzudenken, daß es an der Zeit war, daß auch Mädchen im Rock’n’Roll mal was unternehmen…”
1971 gründeten Debbie (jetzt kurzhaarig und blond) und einige Musiker-Gespielen sowie Debbies neuer Freund, Chris “Greasy Man” Stein (der entschieden dementiert, je das Spielzeug einer Musikerin gewesen zu sein), die instabile, überflüssige Glitzer-Rock-Band The Stilettoes, die sich 1973 in die Erstausgabe von Blondie verwandelten, deren unangefochtene Attraktion Debbie war. Die Verwandlung ging so vor sich, daß a) alle Mitglieder der Stilettoes rausgeschmissen wurden, die zugaben, XX-Chromosome zu besitzen, und man b) den Namen änderte. Von nun würde Debbie Harry keinen mehr neben sich auf der Bühne haben, der kein mucho macho man war (immerhin, die meisten waren sowieso rasiert).
Ein anderes wunderschönes Beispiel dafür, wie sehr sich Debbie Harry durch die Gegenwart von Frauen bedroht fühlt – und zwar auf der Bühne, hinter der Bühne oder gar in der Umkleidekabine der Vorgruppe! – ist jene Geschichte, als sich der kleine Liebling Deborah Anfang letzten Jahres wie ein wildgewordener Handfeger benahm, um den support act, The Rezillos (eine inzwischen aufgelöste schottische Truppe), aus dem Programm zu kippen; und das nur aus dem einen kühlen Grunde, weil ein Mitglied der Band namens Fay Fife in Debbies berechnenden himmelblauen Augen als persona non grata galt, denn Fay war unglücklicherweise WEIBLICH! Debbie war nicht bereit, solch einen unverschämten Angriff auf ihre künstlerische Integrität hinzunehmen, und die Rezillos wurden sang- und klanglos aus dem Programm gekippt.
Reiner Pop
Debbie erzählt, daß es in den frühen Tagen der Gruppe Blondie eine Art Gemeinschaftsgefühl jener NYC-Gruppen gab, die aus der Max’s Kansas City/CBGB’s/Mercer Arts Centre-Rock’n’Roll-Brutstätte gekommen waren. Das waren Patti Smith, Talking Heads, Richard Hell, Television, Ramones, Heartbreakers, Blondie und all die anderen. Aber schon bald ging das verloren, als Gier nach Erfolg die (pseudo-?) Kameraderie besiegte und sich Neid, gegenseitiger Anschiß und richtiggehende Feindseligkeit entwickelten.
Glücklicherweise ist Debbie keine von den Typen, die gerne hinter anderer Leute Rücken über sie quatschen. Zumindest dann, wenn es nicht was ganz Interessantes ist… “Hey, hast du schon den letzten Tratsch aus N.Y. gehört?” plapperte sie einmal mit hinterhältiger Freude los. “David Johansen und seine Frau haben sich gerade getrennt! Sie hatten gerade geheiratet! Sie hat alle Klamotten von David zerrissen! Dann ist sie mit Steven Tyler von Aerosmith abgehauen! Ich finde David ist ein toller Typ, aber sie…”
Nach vielen persönlichen, personellen und, Persönlichkeitsveränderungen hatten Blondie einen bodenständigen Sound entwickelt, der einer modernen, ihrer TV-Glotzer-Generation angepaßten Version jener Mädchengruppen der frühen 60er entsprach (Ronettes, Crystals, Bob B. Sox And The Blue Jeans, etc.). Reiner Pop für leicht verblödete Teenager, die sich von dem neu geschaffenen Punk-Etikett gefangennehmen ließen, welches nur wieder ein neuer Absahnetrick der Schallplattenfirmen war, denn deren Verantwortliche nahmen alle Musiker unter Vertrag, deren Haar nicht bis zum Arsch hing, die kein Peace-Zeichen mit den Fingern machten und keinen Joint zwischen den Fingern hielten.
Blondies Sound hatte einen harten, scharfen Biß, der vermuten ließ, daß sie direkt an der Brust Phil Spectors großgezogen wurden und des Heiligen Musik-box-Moguls vinyl-schwarze Milch in ihren Adern floß. So wurden sie von der schmalbrüstigen Schallplattenfirma “Private Stock” eingekauft. Ihre Besetzung war zu dieser Zeit: Debbie Harry, Gesang; Chris Stein, Gitarre; Gary Valentine, Baß; Clem “Davie the Fat Boy” Burke, Schlagzeug, und schließlich James Destry, Keyboards.
Anfang ’77 kam ihre erste LP raus, die von der Mehrheit der Kritiker und (anfangs) auch vom Publikum völlig ignoriert wurde. Trotzdem war es vielleicht das beste Debütalbum, das je gemacht wurde, das einzige Album, bei dem JEDES stück ein Hit hätte sein können und sein sollen. Das war perfekte Musik, und kategorien wie Rock oder Pop bedeuteten nicht den letzten Dreck; es war clever, bewußt, klar und einfach klassisch gemacht. Die totale Rock-Traum-Erfüllung des Zelluloid-Lebensstils der ultimativen Blondine – Straßenbanden-Kriege (“A Shark In Jet’s Clothing”); die Liebesaffäre mit einem BUllen vom Sittendezernat, der dich hochnimmt und dann selbst im Knast landet (“X Offender”); Bräute der Kriegskunst (“Kung Fu Girls”); Endzeitfantasien (“Attack Of The Giant Ants”); kalifornische Träume (“In The Sun”); Liebesbetrügereien, bei denen der Mann die Rolle mit dem gebrochenen Herzen spielt – laßt die Typen heulen, ausbluten, sterben (“Little Girl Lies”, “Overboard”): ein hinterhältiger Angriff mit ausgefahrenen Krallen, und voll Verachtung für Zeitgenössisches aus dem gleichen Klüngel – in diesem Fall eine Patti “Affenbeine” Smith (“Rip Her To Shreds”), und der Rest dieser scharfen Scheibe klingt so, als wären Blondie das Tollste, was jemals an einem heißen Tag, in einer heißen Stadt, während des Sommers in der Stadt, wenn nachts die ganze Welt anders ist, aus einem Transistor tönen würde. (“Look Good In Blue”, “In The Flesh”, “Rifle Range”)…
Das Album war ein Flop, die ausgekoppelten Singles waren Flops, und als Blondie im Frühjahr 1977 nach England kamen, um als Vorgruppe der anmaßenden, erbärmlichen Television zu spielen, waren sie – oder genauer gesagt, Debbie Harry – hervorragend!
In der Rock-Szene wird von Mädchen erwartet, daß sie wimmernd und seufzend im Publikum sitzen, während der Hengst auf der Bühne mit seinem meterlangen, an einen pulsierenden Verstärker angeschlossenen Kunstphallus hin- und hertrabt und seine Sache macht, wobei er auch noch erwartet, gelobt und geliebt zu werden, obwohl man – da er so lächerlich wirkt – besser über ihn lachen sollte. Er gibt vor, daß sein Schwanz so lang wie sein Arm ist und nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Holz und Metall gemacht wurde, während er Kolbenstöße mit seiner Faust vorführt, die das Plektrum so festhält, daß es aussieht als glaube er, sein technischer Penis sei geheiligt und dürfe sich niemals in einer weiblichen Öffnung beschmutzen, sondern müsse sich mit ritueller Masturbation zufrieden geben. Oh ja, die Hohenpriester des Rock’n’Roll!
Wie gesagt, – lächerlich… und Debbie Harry war nicht bereit, irgendwelchen Scheiß von bierbäuchigen Idioten hinzunehmen, die (nur weil sie glauben, das passende Gerät zu besitzen, um den Sexualakt vollziehen zu können, sie wären die moderne Version von Don Juan, Casanova und Lothario in einem) ihr so tolle Beispiele brillanten Witzes und Geistes nachgröhlten wie: “Zieh doch deinen BH und Höschen aus, Debbie!!”
Sie war cool und voll Verachtung. “Yeah, immer das gleiche Problem, wie überall”, lästerte sie stolz und überheblich, dazu tanzte sie – so als sei Fred Astaire als Sex-Symbol der Sechziger wiedergeboren worden – den Frug, den Swim und ‘ne Menge anderer Tänze mit komischen Namen; ununterdrückbar, unwiderstehlich und ansteckend – die Seele Tina Turners, der Geist von Ronnie Spector und das Herz von Darlene Love. Aber sie wurde ignoriert. Innere Spannungen zerrten an Blondie, und Gary Valentine (der so viele der guten Songs auf der ersten Blondie-LP mit Debbie geschrieben hatte) verließ die Gruppe und wurde durch den Engländer Nigel “Funky Flit” Harrison und einen weiteren Gitarristen namens Frank Infante ersetzt, der in die Gruppe aufgenommen wurde, um Chris Steins Mangel an musikalischem Können zu überdecken (Stein blieb nur wegen seines Verhältnisses zu Debbie Harry in der Gruppe, und gesteht sich sein musikalisches Defizit schon da durch ein, daß er sich auf der Bühne mit -zig Fußpedalen umgibt, um wenigstens manchmal einen richtigen Ton zu erwischen). Das kommerzielle Versagen der Gruppe bewirkte eine radikale Veränderung der Marschrichtung, und das erste Anzeichen, daß Blondie bereit waren, stolze Integrität und künstlerische Brillanz (die sie ohne Gary Valentine sowieso nie wieder so wie auf dem ersten Album erreicht hätten) gegen hartes Bargeld zu tauschen, kam, als Chrysalis (“Die kümmern sich um uns”) Blondie von Private Stock (“Die haben uns nicht ernst genommen”) kaufte und das erste Album mit einer Werbekampagne veröffentlichten, in der Debbie Harry das dumme Opfer – SIE IST KEINE BEDROHUNG MEHR, JUNGS!! – spielte, und zwar so, daß selbst der “Playboy” dagegen wie eine Feministinnenzeitschrift aussehen mußte.
Die Platte verkaufte sich trotzdem nicht, aber nach einigen Tourneen, auf denen sich Debbie entsprechend unterwürfig benommen hatte – dummes Blondchen, bettelndes Schlafaugenbaby, Wegwerfliebling, BITTE FICK MICH! – kamen sie ins nationale Fernsehen, wo sie ihre neue Single “Denis” von ihrem neuen Album PLASTIC LETTERS vorstellten. Und fast genau vor einem Jahr brach das Eis, und der Duft des Erfolgs war so süß, daß er fast vollständig den Gestank der Selbstaufgabe in allen Blondie-Nasen überdeckte. Auch tanzte Debbie nicht mehr. Sie blieb statisch, und wenn das Publikum sie beleidigte, dann lächelte sie wie ein kleines liebes Hündchen, als wolle sie sagen: “Oh Schätzchen, du kennst den Knochen, mit dem ich spielen möchte!”
Greasy Man
Was passierte mit den guten Songs? Das einzige Stück auf PLASTIC LETTERS, das einen Platz auf der ersten LP wert gewesen wäre, war “Denis” selbst, und das stammte nicht von Blondie, sondern war eine Cover-Version eines Stückes von Randy and the Rainbows. Der Rest des Albums was Mist; nichts von dem Spaß des ersten Albums, sondern aufgeblähte Themen wie das Bermuda Dreieck, der Terrorismus, die Sowjet-Union, abgehandelt in totaler Ernsthaftigkeit, ferner speichelleckende Stückchen wie “I Didn’t Have The Nerve To Say No” und schließlich “Fan Mail”, das das Fazit zog: “I sold my one vision for a piece of the cake,/I haven’t ate in days.”
Blondie erzählten der Presse, daß sie eine Gruppe wären, nicht etwa Debbie und Begleitband, sondern eine demokratische Einheit (obwohl sie das nicht davon abhielt, Debbie als Markenzeichen zu verwenden und es ihnen ebensowenig half, wieder gute Songs zu schreiben). Außerdem sagten sie, sie wollten in Zukunft mehr experimentelle Musik machen. Sie strapazierten ihre künstlerische Kreativität (und verschwiegen die Tatsache, daß die Gruppe inzwischen genauso süchtig nach Hit-Singles war wie Debbie einst nach Heroin und daß sie für ihren Teil bereit waren, die Monkees wie Captain Beefheart aussehen zu lassen, nur um die Bewunderung der Konzertbesucher und Medien zu erhalten, die sie mittlerweile genossen).
In der Zwischenzeit hatte Chris “Greasy Man” Stein Mengen – natürlich exklusiver – Fotos von seiner Freundin gemacht und besuchte mit seinem Debbie-Album jede Zeitschriftenredaktion des Landes, um mit dem Verkauf dieser Bilder zu weiteren Veröffentlichungen über Blondie anzuregen. “Wir hatten ziemlich viel Erfolg mit diesem hier”, erzählte mir Stein einmal auf dem Rücksitz eines schwarzen Londoner Taxis, während er auf ein Bild von Debbie zeigte, auf dem sie so tat, als ob sie geil und sehr willig wäre, angetan mit einem Leopardenfell-Badeanzug in Kindergröße. “Greasy Man”, bemerkte ich, “du benimmst dich wie ein mieses Ferkel, das gerade ein Vermögen von der frischen Leiche eines reichen Verwandten geerbt hat”. “He, willst du paar von diesen Fotos”? fragt “Greasy Man” mich, und seine Augen glänzten gierig. “Kannst sie billig haben, zum Einkaufspreis, ok?”
Die Aufnahmen der Gruppe schossen nun automatisch an die Spitze der Hitlisten – Platin Blondie – und obwohl ihr drittes Album PARALLEL LINES sehr unter dem überanstrengten Talent der Blondie-Musiker litt, die bei dem Versuch, kreativ zu sein, auf die Schnauze fielen, statt von Debbie im Hintergrund gehalten zu werden (Greasy Mans Un-Stück über psychische Verständigung “Fade Away And Radiate” ist hierfür ein klassisches Beispiel), und obwohl auch mal wieder die ständigen Erniedrigungen zugunsten von Vergnügen und Gewinn (“Hanging On The Telephone”, “Picture This”, “One Way or Another”) abgehandelt und sogar als Singles, für die es Gold gab veröffentlich wurden, wurde der künstlerische Anspruch der Gruppe fest von Bubblegum-Produzent Mike Chapman (von Chinn and Chapman: Sweet, Suzi Quatro, Mud, etc.) unter Kontrolle gehalten. Bei einigen Stücken (die wunderschöne Sehnsucht in “Sunday Girl” und der Para-Discosound von dem hervorragenden “Heart Of Glass”), überwand die Gruppe alle diese Mängel und ließ einen an das erste Album erinnern und all das musikalische Potential betrauern, das einen ähnlichen Hautgout annahm wie Greasy Mans Atem. Die Gruppe verkündete, daß sie die Filmrechte von Jean Luc Godards Science Fiction Film “Alphaville” gekauft habe und nun eine noch geheimnisvollere und intellektuellere Version plane, als es Jean “Beaucoup De Merde” Lucs Original ist. Debbie wird die Hauptrolle spielen, und Robert Fripp, der bei King Crimson mitspielte, wird den Liebhaber liefern. Sie sollte lieber ein Remake von “The Girl Can’t Help it” machen.
Aber, was willst du vom Leben?
Sagt Debbie Harry: “Ich habe in der letzten Zeit sehr viel gearbeitet… Ich fühle mich viel besser, wenn ich mehr Freizeit habe, einfach nur, um rumzuhägen… Ich frage mich, was mit meiner Inspiration los ist – ob sie jemals wiederkommt. Rock’n’Roll-Inspiration. Inspiration auf Straßenniveau…” Debbie Harry wußte, was sie vom Leben wollte, sie hat hart dafür gearbeitet, und sie hat es schließlich gekriegt, und sie hat es vielleicht sogar verdient.
Alles, worum sie sich jetzt sorgen muß, ist, was sie damit machen wird?
Oder, eher noch, was ES mit IHR machen wird?